Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken setzt noch viele Fragezeichen

Hohe Wellen der Entrüstung und die lähmende Ohnmacht folgenloser Kritik führten jetzt in Sachen Hassbotschaften per soziale Netzwerke zu einer Reaktion durch einen Gesetzesentwurf des Justizministers. Das beabsichtigte Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken soll angesichts der Androhung empfindlicher Konsequenzen zu Veränderungen in der Verantwortung der Netzwerkbetreiber führen.

Außerdem soll durch die verstärkte Thematisierung und Sanktionierung eine Bewusstseinsveränderung bei den Verursachern von Hassbotschaften erreicht werden. Ziel des Gesetzes ist es, Hassbotschaften und strafbare Falschnachrichten, die über Plattformen sozialer Netzwerke verbreitet werden, effektiver zu bekämpfen. Der Regelungsumfang bezieht sich auf Inhalte, die den objektiven Tatbestand insbesondere folgender Strafvorschriften erfüllen:

• Beleidigung
• Üble Nachrede
• Verleumdung
• Bedrohung
• Volksverhetzung
• Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Dabei sollen auch die notwendigen Standards für ein praktikables und wirksames Beschwerdeverfahren gesetzt werden. Im Kern sieht der Entwurf von Justizminister Maas vor, dass die Betreiber sozialer Netzwerke zu Folgendem verpflichtet werden:

• Den Nutzern muss ein transparentes, leicht erkennbares sowie kontinuierlich verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über strafbare Inhalte angeboten werden
• Nutzerbeschwerden müssen unverzüglich zur Kenntnis genommen und auf mögliche Straftatbestände hin geprüft werden
• Innerhalb von 24 Stunden nach einem Beschwerdeeingang sind offenkundige strafbare Inhalte zu sperren oder zu löschen, andere rechtswidrige Inhalte innerhalb von 7 Tagen
• Es ist ein verantwortlicher Ansprechpartner für den deutschlandweiten Bereich zu benennen
• Gelöschte Inhalte müssen zu Beweiszwecken gesichert werden
• Der Nutzer muss von jeder Entscheidung in Bezug auf seine Beschwerde in Kenntnis gesetzt werden
• Es gilt eine vierteljährliche Berichtpflicht mit der Vorgabe der Veröffentlichung über den Umgang mit Beschwerden gegen rechtswidrige Inhalte

Eine fristgerechte Sperrung oder Löschung ist ebenfalls bei sämtlichen Kopien des strafbaren Inhalts auf der Ebene der Plattform zu veranlassen.

Seit der Vorstellung des Gesetzesvorhabens tauchen immer mehr Fragen auf und kritische Stellungnahmen häufen sich. Diese beziehen sich auf die Inhalte des Gesetzes, die handwerkliche Umsetzung sowie die Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz. Dabei wird das Spannungsfeld zwischen Sicherheit auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite der Wertigkeitsskala wieder einmal deutlich.

Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge werden durch einzelne Vertreter aller Parteien, den Bundesrat sowie Medien und Interessenverbände vorgeschlagen. Dazu zählt die Frage, warum in der abschließenden willkürlichen Aufzählung der rechtswidrigen Inhalte nach § 1 Abs. 3 des Entwurfes der Straftatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB fehlt. Im Gegensatz dazu wird in der Praxis bei fehlendem Vorsatz im Umgang mit einem Beleidigungsvorwurf das Verfahren oftmals eingestellt. Ein Verfahren wegen Beleidigung findet erst gar nicht statt, wenn der Geschädigte bei diesem Privatklage- und Antragsdelikt keines möchte. Die Verfolgungsalternative durch die staatsanwaltliche Bewertung eines besonderen öffentlichen Interesses gilt als Ausnahme.

Außerdem erscheint es problematisch, unter Bußgeldbewährung eine Reaktion des Netzwerkbetreibers binnen 24 Stunden auf offensichtlich rechtswidrige Inhalte erzwingen zu wollen. Unklar ist, in wie viel Fällen sich der Netzwerkverantwortliche unter Zeitdruck die juristische Brille zur Beurteilung einer Rechtswidrigkeit aufsetzen muss. Im Zweifel wird er die Löschung vornehmen, um ein Bußgeld zu verhindern. Diese Grenzziehungsproblematik könnte zu einer anderen Toleranzgrenze der Meinungsfreiheit führen, wie sie durch das Verfassungsgericht und europarechtliche Ausführungen festgelegt worden sind.

Eine fehlende Überreinstimmung des Gesetzes mit europarechtlichen Vorschriften ergibt sich auch durch die konkrete Festlegung einzuhaltender Fristen bei der Feststellung von Rechtsverstößen durch Plattformbetreiber. Das europäische Recht sieht für den in Rede stehenden Verbotssachverhalt ausschließlich ein unverzügliches Handeln der Netzwerkverantwortlichen vor. Fraglich ist auch, ob die weitreichenden Handlungsverpflichtungen quasi in der Rolle delegierter Ermittlungsverantwortung auf einem breiten Handlungsfeld mit strafprozessualem Charakter im Einklang mit anderen einschlägigen Rechtsnormen stehen.

Vorbehalte gegen das Gesetz gibt es nicht nur von den Piraten. Diese fragen sich, warum die Inhalte der Veröffentlichungen von Nachrichtensendern weniger kritisch und nicht vom Gesetz erfasst zu bewerten sind als die Botschaften kommerzieller Netzwerkbetreiber. Mit großem Interesse wird die Einschätzung von Martin Schulz zu den Abweichungen des Gesetzesentwurfs bezogen auf die europäischen Datenschutzbestimmungen erwartet. Als Präsident des Europäischen Parlaments hatte er erheblich an der Verfassung der EU-Datenschutzreform mitgewirkt. Losgelöst davon wird eines noch zu regeln sein: Dem Gesetz fehlt es in vielen Teilen noch an der hinreichenden Bestimmtheit. Der rote Faden für die Umsetzung der Vorschrift unter Einbeziehung der Länder und Kommunen ist ebenfalls noch nicht erkennbar. Politisch betrachtet stellt sich die Frage, inwieweit nicht mehr Ermittlungs- und Verfolgungsdruck gegen die eigentlichen Verursacher des Dilemmas zur Aufgabe gemacht werden müsste.